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So viel Freude, so viel Wut – Interview mit Nora Imlau

Nora Imlau ist 3-fach Mama, Journalistin und Fachautorin mit einem besonderen Herzensthema: Wie gestalten wir unser Familienleben und die Beziehung zu unseren Kindern bindungs- und bedürfnisorientiert? Ich habe Noras Arbeit immer sehr bewundert und ihre Bücher verschlungen. Ihr neues Buch „Soviel Freude, so viel Wut!“ , bei dem es um Kinder geht, die wir gerne als „Wutzwerg“ bezeichnen, hat mich dabei besonders berührt. Es war sehr erleichternd zu lesen, dass alles das, was ich mit meinen beiden  gefühlsstarken Jungs ab und zu durchmache absolut ok und „normal“ ist.

Das Buch ist aber nicht nur etwas für Eltern, deren Kinder sehr laut und emotional sind. Ihr findet darin viele wertvolle Alltags-Tipps und wissenschaftlich fundierte Infos, die euch helfen, euer Kind in schwierigen Situationen besser zu verstehen. Ich bin mir sicher, dass Nora mit dem wertschätzenden Begriff „gefühlsstark“ vielen Eltern Mut macht und neue Kraft für einen Perspektivwechsel schenkt.

Im Interview erzählt Nora, wie die Idee zu ihrem Buch entstanden ist, wie sie Herausforderungen bei ihrem gefühlsstarken Kind gemeistert hat und welche Krisenstrategie sie Eltern empfiehlt. Und natürlich habe ich Nora auch einige juristische Fragen gestellt. Ganz besonders hat mich interessiert, welche Gesetze aus ihrer Sicht fehlen, damit das Leben für Kinder und Eltern in unserer Gesellschaft menschlicher und gerechter wird.

1. So viel Freude, so viel Wut! Liebe Nora, was war der Anlass um ein Buch über gefühlsstarke Kinder zu schreiben?

Eines meiner drei Kinder war von klein auf anders als andere: feinfühliger, empfindlicher, sehr schnell überreizt. Gleichzeitig aber auch wilder, energiegeladener, rebellischer. Von jedem Gefühl schien es nur in der Extremvariante zu kennen: größte Freude, tiefste Traurigkeit, wildeste Wut. Ein abenteuerlicher Mix, der uns im Familienalltag oft vor große Herausforderungen stellte! Immer wieder fragte ich mich: Warum tickt dieses Kind nur so anders als die anderen? Warum machst es sich das Leben oft selbst so schwer? Und was kann ich tun, um ihm besser gerecht zu werden? Diese Fragen zu beantworten, stürzte ich mich in eine umfangreiche Recherche und fand heraus, dass etwa jedes siebte bis zehnte Kind mit diesem besonderen Grundtemperament zur Welt kommt. Diese Kinder sind nicht schwierig, bockig oder ungezogen, sie haben einfach besonders starke Gefühle haben, die ihnen manchmal Probleme machen, die jedoch auch eine ganz große Stärke sind. Deshalb habe ich mich entschieden, sie „gefühlsstarke Kinder“ zu nennen.

2. Welche gefühlsstarke Situation ist dir mit deinen Kindern besonders in Erinnerung geblieben?

Mein gefühlsstarkes Kind hat einen riesigen Entdeckerdrang. Alles, was schon mal jemand vor ihm gemacht hat, interessiert dieses Kind nicht. Nur nagelneue Innovationen, die die Welt noch nicht gesehen hat. Das gilt auch fürs Kochen und Backen: Dieses Kind hat keinerlei Interesse an Kinderkochbüchern und Becherküche. Es will sich auch nicht von mir zeigen lassen, wie man Marmorkuchen macht oder Zimtschnecken. Stattdessen will es sich in der Küche einschließen und experimentieren. Jeder Versuch, mit diesem Kind frühliches Weihnachtsplätzchenbacken oder gemeinsames Kochen auszuprobieren, endete in Tränen, Frust und Wutausbrüchen.

3. Wie hast du reagiert?

Ich habe irgendwann nachgegeben und mein Kind machen lassen. Eine echte Herausforderung, schließlich mag ich keine Lebensmittel verschwenden. Und außerdem kommt es gerade beim Backen doch drauf an, total exakt nach Rezept zu arbeiten, oder?Doch mein Kind hat mich eines Besseren belehrt. Klar gingen die ersten Kreationen auch mal daneben, aber inzwischen hat es den Dreh raus und verköstigt uns mit tollen Kuchen, die jedes Mal anders schmecken. Wenn wir aber darum bitten, den selben wie letzten Samstag doch bitte noch mal zu kochen, schüttelt es energisch den Kopf: Den Kuchen gab es ja schon, jetzt muss es einen neuen erfinden!

4. Im Alltag mit Kindern empfinden auch manchmal Eltern Freude und Wut. Was ist dein Geheimrezept für mehr Gelassenheit im Umgang mit Kindern?

Ein Geheimrezept habe ich nicht, aber eine kurzfristige und eine langfristige Krisenstrategie. Die kurzfristige: Einen Moment vor die Tür gehen, ein kühles Glas Wasser trinken, wenn möglich die Schuhe ausiehen und den Boden unter den nackten Füßen spüren, und atmen. Das erdet im wahrsten Sinne des Wortes. Die langfristige Strategie ist, sich mit seinen eigenen inneren Dämonen auseinander zu setzen: In welchen Situationen werde ich so wütend, und warum? Denn wenn wir völlig außer uns sind vor Zorn, liegt der Grund dafür niemals beim Verhalten unseres Kindes. Sondern immer in uns. Diesen Grund müssen wir angucken und bearbeiten, das ist der einzige Weg, auf Dauer aus diesem Teufelskreis aus Wut und noch mehr Wut auszusteigen.

5. Wo können sich Eltern Hilfe holen, wenn sie mit ihrem gefühlsstarken Kind überfordert sind?

Überall, wo man mit liebevollem Blick auf diese Kinder schaut. Das kann eine gute Erziehungsberatungsstelle sein, ein Coaching bei einem FamilyLab-Trainer, oder auch die Facebookgruppe „Gefühlsstarke Kinder verstehen und begleiten“, in der sich Eltern gefühlsstarker Kinder gegenseitig den Rücken stärken.

6. Nun werden unsere Kinder oftmals nicht nur von uns, sondern auch von anderen Personen betreut. So stehen z.B. auch Erzieher*innen bei der Betreuung der Kinder vor der Herausforderung „Freude & Wut“. Wie sollten Erzieher, am besten mit gefühlsstarken Kindern umgehen?

Sie müssen verstehen, dass diese Kinder sie nicht ärgern wollen, auch wenn sie sich manchmal daneben benehmen. Gefühlsstarke Kinder brauchen in solchen Momenten keinen Ausschluss von der Gruppe, sondern im Gegenteil ganz viel Begleitung, die so genannte Co-Regulation. Dabei stellen Erwachsene ihre eigenen Beruhigungsstategien dem aufgelösten Kind zur Verfügung, in dem sie mit ihm gemeinsam ruhig atmen und bewusst entspannen. Jede Form von Stress, etwa durch Strafen oder „Konsequenzen“,  ist dabei kontraproduktiv. Ruhig zu werden, lernen Kinder nur in Ruhe.

7. Die Familienministerin plant ein „Gute Kita Gesetz“, welches die Betreuungsqualität verbessern soll. Welche Kita-Qualitätsmerkmale sind aus deiner Erfahrung am Wichtigsten, und was sollte in dem Gesetz stehen, damit auch gefühlsstarke Kinder optimal betreut werden?

Das wichtigste Kriterium für gute Betreuung lässt sich schwer in ein Gesetz fassen: Es ist die Feinfühligkeit der Betreuungspersonen, die die Grundvoraussetzung für gute, sichere Bindungserfahrungen ist. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, dass diese Bindung wachsen und gedeihen kann, bestehen dann vor allem in einem guten Betreuungsschlüssel sowie in einem gesetzlich verankerten Recht auf eine bezahlte Eingewöhnungszeit. Hier besteht insbesondere in der Kindertagespflege Nachbesserungsbedarf: Viele Tagesmütter bekommen für die gesamte Eingewöhnung nur eine sehr geringe Pauschale bezahlt, die niemals die Kosten einer drei oder vier Wochen andauernden behutsamen Eingewöhnung abdeckt. Da müsste gesetzlich ganz klar festgelegt sein, dass Betreuungspersonen vom ersten Eingewöhnungstag an die volle Bezahlung zusteht – auch wenn das Kind anfangs vielleicht nur eine Stunde zusammen mit einem Elternteil zum Spielen kommt.

8. In Finnland bekommt man zur Geburt eine Babybox mit Erstausstattung geschenkt, in Deutschland die Steuer-Identifikationsnummer. Was sollte sich verändern, damit unser Land familienfreundlicher wird?

Naja, diesen negativen Blick teile ich ehrlich gesagt nicht: In Deutschland bekommt man zur Geburt eines Babys auch bis zu 14 Monate Elterngeld „geschenkt“, eine Lohnersatzleistung, von denen viele Mütter und Väter in anderen Ländern nur träumen können. Und wer sehr wenig Geld hat, bekommt auch hierzulande Geld für die Erstausstattung vom Staat. Um Deutschland noch familienfreundlicher zu machen, würde ich mir konkret deshalb weniger Geschenke zur Geburt wünschen als konkrete Maßnahmen gegen Kinderarmut.

9. Welche neuen Gesetze brauchen wir für Eltern und Kinder? Wo bestehen aus deiner Sicht Ungerechtigkeiten?

Oh, da fallen mir ganz verschiedene Themen ein. Zum einen brauchen wir aus meiner Sicht effektivere Gesetze zum Schutz des Stillens – so würde ich mir sehr wünschen, dass der WHO-Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatznahrung in Deutschland in seiner Gesamtheit rechtlich bindend werden würde, und nicht nur in Teilen wie bisher. Auche in explizites Gesetz zum Recht auf Stillen in der Öffentlichkeit fände ich ein wichtiges Signal. Das größte und wichtigste Thema ist aus meiner Sicht jedoch die Frage, wie ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden kann, dass alle Kinder in Deutschland körperlich und seelisch unversehrt groß werden können. Dazu gehört in jedem Fall ein strengeres Verfolgen aller Verstöße gegen das Recht auf gewaltfreie Erziehung, nicht nur in Hinblick auf körperliche Gewalt, sondern auch auf verbale und emotionale. Außerdem sollte gerade in Familien mit getrennten Elternteilen ein rechtlicher Rahmen her, der gewährleistet, dass das Kindswohl im Mittelpunkt aller Entscheidungen steht – das momentan stark geförderte Wechselmodell ist dem seelischen Wohlbefinden vieler Kinder zum Beispiel nicht unbedingt zuträglich und orientiert sich eher am Gerechtigkeitsempfinden der Erwachsenen. Und schließlich braucht es gesetzliche Maßnahmen, die verhindern, dass Familien – insbesondere Alleinerziehende, denn sie sind besonders häufig betroffen – in Armut abrutschen.

10. Was ist für dich das Schönste am Mamasein?

Die bedingungslose Liebe zwischen meinen Kindern und mir.

 

Vielen Dank für das Interview, liebe Nora!

Wenn ihr mehr von Nora lesen wollt, empfehle ich euch ihre Webseite und ihre Social Media Kanäle bei Facebook, Twitter und Instagram.

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