Kinderrechte Vermischtes

Die Flüchtlingskinder vor dem LaGeSo und die UN-Kinderrechtskonvention

Wir alle haben die Bilder aus den Nachrichten und Zeitungen im Kopf. Flüchtlinge, die stundenlang, zeitweise bei glühender Hitze, vor dem LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in Berlin-Moabit Schlange stehen. Dort müssen sie sich melden, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Es sind täglich Hunderte, vielleicht sogar Tausende. Viele übernachten draußen. Auf Pappkartons oder Plastiksäcken. Darunter sind auch viele Flüchtlingskinder. Jugendliche, Kleinkinder, Babys, ungeborene Kinder. Mit ihren Familien, vielleicht auch ohne ihre Familien. Dank vieler freiwilliger Helfer erhalten sie Wasser, Nahrungsmittel und werden ärztlich versorgt. Die Behörden sind mit der Situation überfordert. Das Flüchtlingsmanagement in Berlin war und ist wohl immer noch eine Katastrophe.

Beim Anblick dieser Bilder frage ich mich häufig, ob den Behörden oder unseren Staatsvertretern – in diesem Fall den Angehörigen des Berlin Senates – überhaupt die UN-Kinderrechtskonvention ein Begriff ist. Und ob ihnen bewusst ist, dass auch die Kinder, die in der Turmstrasse 21 warten, unter den Schutz der UN-Kinderrechtskonvention fallen.

Artikel 22 Flüchtlingskinder

(1) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen, denen die genannten Staaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht.

(…)

Derartige Situation zeigen: Die UN-Kinderrechtskonvention ist in Deutschland noch nicht ausreichend umgesetzt worden. Nicht repräsentative Umfragen in meinem Bekanntenkreis haben ergeben, dass die Konvention scheinbar noch nicht so richtig im Bewußtsein angekommen ist – geschweige denn den Betroffenen kindgerecht nähergebracht wird.

Daher habe ich euch einige Infos zur UN-Kinderrechtskonvention und die wichtigsten Kindergrundrechte zusammengefasst – unter Bezugnahme auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik vor dem LaGeSo in Berlin. Anlass ist die schöne Idee von Anne-Lu (Grosseköpfe) und Susanne (Geborgen Wachsen) unter #wirsindallefreigeboren zu einer Blogparade aufzurufen. Alle Texte dazu und weitere Links findet ihr übrigens hier.

Deutschland und die UN-Kinderrechtskonvention

Die UN-Kinderrechtskonvention, die allgemeine Standards zum Schutz von Kindern festlegt, ist seit 1990 in Kraft und eine der wichtigsten UN-Konventionen. Mit Ausnahme des Südsudan und der USA haben alle Mitgliedsstaaten die Konvention ratifiziert. In Deutschland gilt die UN-Kinderrechtskonvention erst seit 1992. Der Beitritt war nur ein „ja, aber“, denn er erfolgte erst mit einer Vorbehaltserklärung, die dem geltenden Ausländerrecht Vorrang vor den Regelungen der UN-Kinderrechtskonventionen gab. Der Grund: In Deutschland wurden auch minderjährige Flüchtlingskinder in Abschiebehaft genommen. Diese Vorbehaltserklärung wurde allerdings 2010 zurückgenommen, seitdem gilt die UN-Kinderrechtskonvention uneingeschränkt.

Die unterzeichnenden Vertragsstaaten sind verpflichtet die Regelungen der UN-Kinderrechtskonvention einzuhalten. Die Regelungen sind daher auch in Deutschland geltendes Recht. Über die Einhaltung wacht der in Genf ansässige Kinderrechtsausschuss. Auch wenn bei der Umsetzung noch viele Hausaufgaben zu machen sind – die UN-Kinderrechtskonvention hat Einfluß – zum Beispiel auf die Gesetzgebung: Viele neue Gesetze, wie zum Beispiel das im Jahr 2000 verabschiedete Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung, über das ich bereits auch einmal gebloggt habe, aber auch der seit August 2013 geltende Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, beruhen unter anderem auf der UN-Kinderrechtskonvention. Nur in unser Grundgesetz haben es die Kinderrechte leider noch nicht geschafft.

Die 10 Kindergrundrechte

Der Originaltext der UN-Kinderrechtskonvention ist keine leichte Kost. Damit die wichtigsten Kinderrechte verständlich sind, wurden die 54 Artikel zusammengekürzt und von der UNICEF zu 10 essentiellen Kinderrechten zusammengefasst:

1. Recht auf Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung unabhängig von Religion, Herkunft und Geschlecht;
2. Recht auf einen Namen und eine Staatszugehörigkeit;
3. Recht auf Gesundheit;
4. Recht auf Bildung und Ausbildung;
5. Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung;
6. Recht, sich zu informieren, sich mitzuteilen, gehört zu werden und sich zu versammeln;
7. Recht auf eine Privatsphäre und eine gewaltfreie Erziehung im Sinne der Gleichberechtigung und des Friedens;
8. Recht auf sofortige Hilfe in Katastrophen und Notlagen und auf Schutz vor Grausamkeit, Vernachlässigung, Ausnutzung und Verfolgung;
9. Recht auf eine Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause;
10. Recht auf Betreuung bei Behinderung.

Die UN-Kinderrechtskonvention – ein zahnloser Tiger?

Was geschieht nun aber wenn Deutschland die Regelungen der UN-Kinderrechtskonvention verletzt werden? Zum Beispiel durch einen Verstoß gegen Art 22 im Hinblick auf den zu gewährenden Schutz und die Verpflichtung zu humanitärer Hilfe?

Denkbarer Fall: Ein vor dem LaGeSo wartendes Kinder von den Behörden nicht ausreichend (medizinisch) versorgt und erkrankt daraufhin schwer. Kann ein Flüchtlingskind klagen? Erhält es Schmerzensgeld? Gibt es ein „Kindergericht“ und ein vollstreckbares Urteil?

Tatsächlich gibt es seit kurzem ein besonderes Rechtsmittel für Kinder, deren Rechte verletzt worden sind. Das Flüchtlingskind könnte theoretisch ein sogenanntes „Individualbeschwerdeverfahren“ einleiten. Geregelt ist das Verfahren in einem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention, das seit dem 14. April 2014 in Kraft getreten ist. (Deutschland gehörte übrigens zu den ersten Staaten, die das Zusatzprotokoll ratifiziert haben.) Der Haken: Die Möglichkeit der Beschwerde besteht erst dann, wenn der nationale Rechtsweg erfolglos durchlaufen worden ist. Grundsätzlich muss das betroffene Flüchtlingskind die Rechtsverletzung also erst vor den deutschen Gerichten geltend machen und den kompletten Instanzenzug durchlaufen, einschließlich der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht. (Davon gibt es nur in ganz besonderen Fällen Ausnahmen.) Erst dann darf es sich in Genf beim Kinderrechtsausschuß – nicht etwa vor einem UN-Tribunal – beschweren. Ist das Verfahren erfolgreich, spricht der UN-Kinderrechtsausschuss Empfehlungen gegenüber dem Staat aus, der Kinderrechte verletzt hat, jedoch kein verbindliches Urteil.

Vieles spricht also eher für einen zahnlosen Tiger, oder für einen Tiger dem erst noch Zähne wachsen müssen. Schließlich ist die Individualbeschwerde erst seit einem Jahr in Kraft. Es bleibt daher zu hofffen, dass in den kommenden Jahren noch weitere Rechtsmittel für Kinder zur Geltendmachung vun Kinderrechten eingeführt werden. Vielleicht sogar auf nationaler Ebene? Vielleicht auch Eilverfahren? Wir werden sehen.

Den Flüchtlingskindern vor dem LaGeSo kann die UN-Kinderrechtskonvention daher nicht konkret helfen. Höchstens dann, wenn das künftige Flüchtlingsmanagement die Kindergrundrechte angemessen berücksichtigt, was sehr zu hoffen ist. Bis dahin müssen wohl die vielen freiwillige Helfer dafür sorgen, dass Kinderrechte nicht verletzt werden.

 

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